Unsere Kultur ist einem steten Wandel unterworfen. Diese Umgestaltung vollzieht sich auf unterschiedlichen Ebenen und über z.T. längere Zeitabläufe. Beeinflusst wird dieser Wandel nicht nur durch innerkulturelle Entwicklungen oder durch die Begegnung mit anderen Kulturen.
Dies ist deutlich zu spüren und auch zu lesen. Ein Indikator ist kann sein, wenn neue Begriffe in den Duden aufgenommen werden, z.B. „whatsappen“.
Nicht nur in der Sprache, auch im Umgang mit Tod, Sterben und "Abschied nehmen", zeigen sich diese Veränderungen und der Wandel hinterlässt Spuren.
Neue Fragen werden aufgeworfen und müssen beantwortet werden. Komplexe Fragestellungen fordern nicht nur die Ethik heraus, insbesondere wenn es um die Grenzen des Lebens geht.
Wenden wir uns der Frage zu, was Sterben und Tod ist, wird schnell erkennbar, wie aus unterschiedlicher Perspektive verschiedene Antworten gegeben werden können. Sterben ist ja mehr als der letzte Atemzug oder das Aufhören des Pulsschlagens. „Tod ist Tod“ als Schlagwort in früheren Zeiten ist so nicht mehr zutreffend. Sterben wird vielmehr als ein Prozess verstanden, der nicht von einer Minute auf die andere erfolgt. Die daraus resultierenden Fragestellungen für die Organtransplantation und ein zuverlässiges Hirntod-Konzept offenbaren die Herausforderungen, die jeder Wandel und jede Veränderung mit sich bringt.
Was über Jahrzehnte, manchmal auch Jahrhunderte für die Mehrheit in großen Teilen Europas selbstverständlich war, ändert sich zunehmend. Die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche nimmt immer mehr ab. Damit fehlt eine geläufige und bekannte „Anlaufstelle“, die den Beginn und insbesondere das Ende des Lebens gestaltet.
Die Zeiten, in denen die christlichen Kirchen eine Monopolstellung für die Feier zum Beginn des Lebens (Taufe) und am Ende des Lebens (Beerdigung) hatten, sind zwar noch nicht ganz vorbei, aber der Trend dahin ist unverkennbar.
Das hat vielfältige und tiefgreifende gesellschaftliche Folgen, auch für die Frage nach dem Umgang mit Tod und Sterben.
Die Kirche nimmt als eine übergeordnete Größe, die auch eine kulturverbindende Funktion wahrnimmt, an Einfluss und Gestaltungskraft ab. Insbesondere in kleineren dörflichen Gemeinschaften, nicht nur in katholisch geprägtem Umfeld, zeigt sich dieser Einfluss äußerst deutlich. Der Wunsch nach alternativen Trauerfeiern nimmt rasant zu. Die katholischen Trauerfeiern werden oftmals als äußerst unpersönlich empfunden. Es gelingt nicht oder nur kaum die Spezifika christlichen Glaubens und christlicher Hoffnung tröstend zu vermitteln. Der Ritus im Sinne einer haltgebenden Handlung wird kaum mehr so empfunden, sondern als unpersönlich und störend erlebt.
Den allerwenigsten Pfarrern und Priestern gelingt es, sich bei den sog. Kasualien den Herausforderungen kirchendistanzierter und kirchenendfremdeter Menschen zu stellen. Sich auf ihre Sprach- und Hörgewohnheiten, sowie dem kulturellen Milieu einzulassen, fällt aus vielerlei Gründen (zu) schwer.
Stattdessen versucht man durch Ab- und Ausgrenzung sein konfessionelles Profil zu schärfen. Bis dahin, dass kirchliche Räumlichkeiten für eine Trauerfeier eines Nicht-Kirchen-Mitgliedes nicht zur Verfügung gestellt werden, geschweige denn eine Trauerfeier für ausgetretene Kirchenmitglieder oder Konfessionslose gestaltet wird.
Der Wandel weg von bisherigen Überlieferungen, kulturellen Gewohnheiten, landeskirchlichem Gepräge ist festzustellen – einhergehend aber mit einer verstärkten Abgrenzung mancher Kirchen, insbesondere im ländlichen Raum.
Mit dieser Entwicklung verknüpft ist die Herausforderung nun die Schnittstellen des Lebens frei zu gestalten. Die Wahlfreiheit des Einzelnen und insbesondere der Angehörigen ist enorm, da es eine Fülle an Möglichkeiten gibt, Leben und das Lebensende/ Tod und Sterben / Abschiednehmen zu gestalten. Dies bedeutet einerseits eine enorme Freiheit und Vielfalt. Die Auswahlmöglichkeiten sind enorm. Möglich ist, was gefällt. Manchmal sind die spontanen Entscheidungen aus dem Bauch heraus eine enorme Bereicherung, auch bei Trauerfeiern. Sie spiegeln authentisches Leben wieder. Neues wird ausprobiert und bewusster auf das eigene Empfinden geachtet. Die Trauer wird mittels Symbolen und Handlungen im wahrsten Sinne des Wortes „gestaltet“.
Dann wieder ist die Auswahlmöglichkeit eine enorme Überforderung. Denn diese Wahl“Möglichkeit“ wird schnell zur Wahl“pflicht“ und ist schließlich ein Wahl“muss“.
Denn man kann nicht nur wählen und entscheiden, sondern muss es auch. Dies betrifft selbst die Frage nach den letzten und vorletzten Dingen. Das kann durchaus als sehr befreiend erlebt werden, manchmal wird dies jedoch auch als große Last und Belastung empfunden. Ja, noch mehr - Es ist schlichtweg eine völlige Überforderung bei dem Tod eines nahestehenden Menschen, entscheiden zu müssen, was denn hilfreich sein könnte, um angemessen (wer entscheidet das?) Abschied zu nehmen und Trost zu erfahren, der nicht vertröstet. Leider setzen sich die wenigsten Angehörigen, geschwiege denn jeder selbst, mit der Frage auseinander, wie soll denn „meine“ Trauerfeier aussehen und was könnte hilfreich sein, um Abschied zu nehmen. Wie kann meine Hoffnung Worte finden und in Bildern ausgedrückt werden.
In früheren Zeiten gab es Rituale und Formen, die hilfreich waren. Angefangen von der dunklen Kleidung bis hin zum Entzünden einer Kerze oder dem Öffnen des Fensters nach dem Tod eines Menschen.
Formen und Gepflogenheiten, die heute bewusst oder auch unbewusst durchbrochen werden. Die Motive dazu sind unterschiedlich, oftmals unreflektiert und meistens nicht mit dem Verstorbenen abgesprochen.
Manchmal wird so bewusst auf dunkle Trauerkleidung verzichtet. Ausdrücklich wird in der Todesanzeige darauf hingewiesen. Dahinter steht wohl die Überzeugung, dass der Tod eines geliebten Menschen ohnehin schon so schwer und belastend ist, dass die „Trauerkleidung“ zusätzliche Beschwernisse bedeutet. Diese Kleidung wird als zusätzliche Belastung erlebt. Der Gedanke, dass dies auch ein Signal an die Umwelt sein könnte, dass jemand „in Trauer“ geht und man ihm deshalb „angemssen“, hilfreich und fürsorglich begegnen könnte, ist meistens in den Hintergrund getreten.
Vielleicht soll auch stattdessen durch die normale Alltagskleidung signalisiert werden, dass der Tod und das Sterben zum Leben zugehörig empfunden wird. Denn „Kleider“ machen Leute und drücken Gefühle, aber auch Wertschätzung aus und heben das Ereignis aus dem Gewöhnlichen heraus. Das betrifft nicht nur den Smoking beim Abendevent. Oder man möchte mit der Alltagskleidung bewusst den Alltag und die vergangenen Jahre erneut ins Bewusstsein holen.
Vielleicht klingt auch so etwas wie Trotz gegen den Tod und das Sterben an. Damit wäre dieser „Protest“ gegen den Tod ein Signal, auch wenn dieser Protest möglicherweise kein christliches Fundament bei diesen „Protestleuten“ hat.
Um den Bezug zum Diesseits zu halten und zu fixieren spielt vielleicht ja auch der Gedanken mit, dass er oder sie ja „in der Erinnerung“ weiterlebt. Damit klingt die Frage an, wie und ob es eine wie auch immer geartete Hoffnung auf eine Weiter“existenz“ nach dem Tod gibt.
Andere verzichten beim „Nachkaffee“ auf die vielerorts üblichen Gebräuche, Kuchen und Kaffee zu reichen, und laden stattdessen in die Stammkneipe zum Bier ein. Was bei dem einen als respektlos abqualifiziert wird, wird von anderen als echt, stimmig und authentisch gedeutet, denn „er war eben so“. Wobei dennoch offen bleibt, was denn mit „er war eben so!“ gemeint ist.
Auch Luftballons werden symbolisch gen Himmel steigen gelassen und die Gedanken und Erinnerungen folgen ihnen. Was so schön in der Fantasie ausgemalt wird, scheitert bei unpassendem Wind, Wetter oder im Wald an äußeren Umständen. Dabei ist die Praxis weniger im Blick. Vielmehr der Wunsch, dass ihn/sie „da oben“ nun die Wünsche erreichen mögen. Auch bei diesem „da oben“ zeigt sich doch die Ursehnsucht des Menschen, dass mit dem Tode nicht alles aus sein möge. Im Menschen bleibt der Wunsch nach „Tranzendenz“ unausrottbar verwurzelt.
Wie in vielen anderen Bereichen auch ist die Individualisierung auch im Umfeld von Tod und Trauerfeier in vielfältiger Weise wahrnehmbar.
Konventionen treten in den Hintergrund und Rituale werden nicht mehr als etwas empfunden, was Hilfe und Halt geben könnte.
Das birgt meines Erachtens eine Gefahr in sich. Denn wenn der Mut zum Trauern und die damit einhergehenden unangenehmen Gefühlen keinen hilfreichen Raum finden und weggedrückt werden, verschwinden sie doch nicht einfach. In einer Gesellschaft, die dahin tendiert, dass Traurigkeit gleich als depressive Verstimmung oder gar Depression und damit zur behandlungsbedürftige Krankheit gedeutet wird, hat die Trauer, die von zweifelhaften Trost überlagert wird, viel zu wenig Raum.
Ich plädiere daher für den Mut zur Trauer, für eine – wie auch immer begleitete Trauer und es berührt mich positiv, wie immer mehr Trauer- und Gesprächsgruppen für Trauernde, ein Raum bieten.
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